DREI BODHI-BÄUME
Im Sunyata Zentrum gibt es zwei Bodhi-Bäume, einen großen Baum, der hinter der Buddha-Statue auf einem hohen Felsen gepflanzt wurde, und einen kleineren Baum, der in einer anderen Ecke des Hofes steht.
Einmal sah ich, dass ein Zen-Schüler einen Bonsai-Bodhi-Baum in seinem Haus hatte, der in einem kleinen Topf, mit einem großen Stamm und üppigen, gleichmäßig ausgebreiteten Blättern, gepflanzt wurde, den der Schüler respektvoll auf dem Tisch in der Mitte seines Wohnzimmers ausstellte, wünsche ich mir insgeheim, dass ich auch einen solchen Bonsai-Bodhi-Baum auf meinem Schreibtisch hätte, damit ich ihn jederzeit betrachten könnte und Entspannung finden würde. Aber warum muss es der Bodhi-Baum sein? Es gibt im Garten doch keinen Mangel an Zierpflanzen und Blumen oder? Weil ich mich jedes Mal, wenn ich einen Bodhi-Baum sehe, an den Buddha erinnere, kommen dann in mir einige unbeschreibliche emotionale Gefühle hoch.
Eines Tages schenkte ein Zen-Schüler aus Sacramento dem Sunyata Zentrum einen Bonsai-Bodhi-Baum. Es müsste über 10 Jahre her sein. Ich habe mich darüber sehr gefreut. Ich schaute ständig zu ihm hin und ich konnte jede kleine Blattknospe, die neu aus spross, sofort entdecken. Am Anfang waren die Blätter dieser Knospe noch jung und hellgrün. Mit der Zeit wechselten sie langsam zur Farbe dunkelgrün. Dann fing meine Reisezeit an. Mal verreiste ich mit dem Zen-Meister, mal war ich alleine unterwegs. Meine Abwesenheit im Sunyata Zentrum wurde immer länger. Jedes Mal, wenn ich verreisen musste, habe ich die Novizen Phúc Trí und Hạnh Như beauftragt, den Bodhi-Baum zu pflegen. Es dauerte aber nicht lang, da hatte der Bodhi-Baum gelbe Blätter und starb. Ich war traurig und habe den Zen-Schüler benachrichtigt, dass der Bonsai-Bodhi-Baum schon tot war. Wahrscheinlich habe ich ihn zu viel gegossen. Ein paar Jahre später hat der Schüler dem Sunyata Zentrum einen neuen Bonsai-Bodhi-Baum geschenkt. Ich war froh, obwohl ich ihm gar nicht gesagt habe, dass mir einen Bonsai-Bodhi-Baum fehlte.
Dieses Mal war ich vorsichtiger mit dem Gießen. Aber was soll ich denn am Besten machen, wenn ich unterwegs sein muss? Aus Erfahrung vom letzten Mal, brachte ich ihn dieses Mal in den Vorgarten mit der Hoffnung, dass er in der Natur besser als in dem Haus wuchs und er wurde auch gegossen, wenn die anderen Zierpflanzen im Garten gegossen wurden. Doch starb er auch. Noch einmal musste ich dem Zen-Schüler eine traurige Nachricht übermitteln. Wahrscheinlich konnte der Bonsai-Baum die Sonnenhitze nicht vertragen.
Neulich hat dieser Zen-Schüler dem Sunyata Zentrum wieder einen Bonsai-Bodhi-Baum mitgebracht. Ein dritter Bonsai-Bodhi-Baum. Dieser dritte Baum sah viel gesünder aus als die letzten zwei Bäume. Er hatte einen größeren Stamm und viel mehr Blätter. Ich stellte ihn mitten im Esszimmer auf, damit jeder, der hierher kam, ihn sah. Zwei Jahre hintereinander, während der Covid-19, bin ich im Sunyata Zentrum geblieben. Ich habe ihn sorgfältig gepflegt. Jede neue Knospe war mir eine Freude. Er breitete sich richtig aus. Die Blätter wuchsen höher und üppiger.
Dieses Mal nahm ich eine kleine Blumenvase, füllte das Wasser in die Vase hinein und stellte die Bonsaischale auf diese Vase darauf, damit die Wurzeln des Bodhi-Baums selbständig das Wasser aufnehmen können. Nach etwa einer Woche füllte ich Wasser in der Vase nach. Während der zwei Jahre Covid-19 wuchs der Bodhi-Baum wirklich wunderschön.
Anfang 2022, als die Covid-19 unter Kontrolle war, verreiste ich erneut. Jede Reise dauerte ungefähr 3 Wochen. Ich habe mir selbst gesagt, dieser dritte Bonsai-Baum muss unbedingt überleben. Jedes Mal, bevor ich zum Flughafen fuhr, habe ich extra Wasser in die Blumenvase gefüllt und habe die Schüler, die im Tempel geblieben sind, daran erinnert, jede Woche etwas Wasser in die Vase nachzufüllen. Mehr als Wasser nachzufüllen brauchten sie nicht zu tun.
Einmal, als ich von einer Reise zurückkam, ging ich sofort zu dem Bodhi-Baum, hob ihn hoch und sah, dass die Vase kein Wasser mehr hatte. Ich erschrak, habe sofort Wasser in die Vase gefüllt und stellte den Bodhi-Baum wieder auf die Vase. Ich war etwas traurig aber ich wollte jedoch niemandem einen Vorwurf machen, also habe ich geschwiegen.
Dann musste ich wieder verreisen. Als ich zurückkam, sah ich, dass der Bodhi-Baum weniger Blätter hatte und einige waren sogar gelblich. In der Vase war wieder kein Wasser mehr zu sehen. Ich habe mich gefragt: Ich habe den Bonsai-Baum extra hier in den Essraum hingestellt, wo man mindesten zwei Mal am Tag hierher kommen muss, um die Mahlzeiten einzunehmen und warum hat keiner gemerkt, dass der Bonsai gelbe Blätter hatte? Aber warum hatten die Orchideen keine gelben Blätter und die Zierpflanzen im Vorgarten hatten auch keine gelben Blätter. Dieses Mal erinnerte ich die zurückbleibende Person vor meiner Abreise daran, jede Woche etwas Wasser in die Vase nachzuzufüllen (damit der Bonsai zumindest bis zu meiner Rückkehr überleben kann!).
Dann musste ich jeden Monat für ein paar Wochen verreisen. Der einst üppige Bodhi-Baum verdorrte nach und nach und konnte nicht mehr gerettet werden. Jedes Mal, wenn ich zu dem Tempel zurückkehrte, war er so trocken. Es war wieder kein Wasser in der Vase. Jedes Mal, wenn ich mich an diesen Bonsai-Bodhi-Baum erinnere, fühle ich mich etwas traurig. Ich kann es nicht verstehen, ich kann es nicht sagen. Ich habe ein Gefühl, als ob mein Herz eine Wunde hätte.
Das letzte Bild des Bodhi-Baums mit kahlen Asten, dürren, ohne Blätter, verdorrtem, steifem, Stamm, der völlig stumm und immer noch ruhig dastand und auf meine Rückkehr wartete, ich war sprachlos. Ich frage mich jedes Mal: Warum ist das so? Warum sah niemand, dass seine Blätter gelb waren? Warum sah keiner, dass er seine Blätter verloren hat? Und wer hat seine abgefallenen Blätter aufgehoben und warum hat der nicht gemerkt, dass kein Wasser mehr in der Vase war? Der Boden um den Baum herum war so trocken und hart geworden, auch die Wurzeln des Baumes sind gekräuselt und verdorrt. Egal, ob und wie viel Wasser man ihm jetzt gibt, es ist bereits zu spät. Er kann nicht mehr überleben.
Es sind zwei Jahre vergangen und manchmal frage ich mich noch: Warum ist das so?
Heute Morgen, während der Meditation, fühlte ich mich von dem Verlust der drei Bodhi-Bäume befreit.
Denn die müssen eingehen, wenn die erforderlichen Bedingungen für sie nicht mehr vorhanden sind. Es ist ein Naturgesetz, ein bedingtes Entstehen. Was kann denn für ewig existieren? Es scheint, dass ich langsam die Bodhi-Bäume vergessen kann, insbesondere den letzten Bodhi-Baum. Er unterliegt ja auch wie die anderen dem Gesetz der Vergänglichkeit.
Ich liebe den Bodhi-Baum, weil er die „Erleuchtung“ symbolisiert, weil er mich an den Buddha erinnert. Weil Bodhi „Erleuchtung“ bedeutet, habe ich mir deshalb einen eigenen Bodhi-Baum gewünscht. Ich kümmere mich um ihn, als ob ich mich um meine eigene „Erleuchtung“ kümmere.
Ich habe gedacht, wenn mein Bonsai-Bodhi-Baum sich gut entwickelt hat, entwickelt sich mein „Boddhi-Geist“ auch gut. Daher, als er eingegangen war, habe ich mich bedauernd gefragt: Warum musste er eingehen?
Wir können vorläufig den weltlichen Bodhi-Baum als ein „Geborenes“ und den Bodhi-Geist ein „Ungeborenes“ betrachten. Der eine ist eine Form und der andere ist ein Spiritual. Sie sind zwar unterschiedlich, unterscheiden sie sich jedoch kaum voneinander. Weil der Bodhi-Geist ungeboren ist, kann er nicht eingehen. Er ist beständig und rein. Aber wenn wir ihn nicht erkennen würden, würde er auch nicht existieren. Wenn wir ihn erkennen aber nicht pflegen würden, würde er auch nicht wachsen.
Wie kann unsere Weisheit entwickelt werden, wie können unsere Liebe, unser Mitgefühl, unsere Freude und unser Gleichmut erfüllen werden, wenn wir unseren spirituellen Geist nicht pflegen?
Den eigenen Bodhi-Geist muss jeder selbst pflegen. Niemand kann sich um den Bodhi-Geist eines anderen kümmern. Das Gleiche gilt auch für meinen weltlichen Bonsai-Bodhi-Baum. Wenn ich ihn liebe, muss ich mich selbst um ihn kümmern. Ich kann Niemandem diese Verantwortung übertragen. Es war meine Schuld.
Nun habe ich erfahren, dass jeder Baum ein Bodhi-Baum ist, dass jede Blume, jede Blüte, jede Landschaft eine ultimative Realität offenbart. Jede Blume, jede Zierpflanze ist also ein „Bodhi-Baum“ und keiner davon ist mein eigener „Bodhi-Baum“.
Sunyata Zentrum, den 10-6-2024
TN
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