QI GONG – FASZIEN – MEDITATION
oder
MEDITATIVES QI GONG
Anfang 2019 hatte ich einen Unfall. Danach hatte ich Schmerzen am Rücken und an der rechten Schulter, ich konnte meinen Arm nicht mehr heben und hatte beim Anziehen meiner Jacke starke Schmerzen im Oberarm. Die Schmerzen blieben zwei Jahre lang und wollten nicht weggehen... Ich habe dann einen Bekannten gefragt, der als Physiotherapeut arbeitet: „Wenn du einen Patienten mit Wirbelsäulenschmerzen behandelst, welchen Teil des Körpers versuchst du dabei zu beeinflussen: Knochen, Muskeln oder Gelenke? Seine Antwort war sehr kurz: „Faszien“. Erst später erfuhr ich, dass sein Fach Osteopathie war.
Als ich nach Hause zurückkehrte, versuchte ich mich so viel wie möglich über Faszien zu informieren. Ich versuchte auch, verschiedene Faszienübungen im Zusammenhang mit Schulterschmerzen anzuwenden. Nach einer Weile bemerkte ich, dass die Schmerzen während der Übung zwar nachließen, danach aber weiterhin blieben. Erst viel später wurde mir klar, dass die Wirkung dieser Faszienübungen weniger wirksam ist, wenn wir nicht auf die Entspannung achten.
Ende 2021 beschloss ich, Qi Gong wieder zu üben. In verschiedenen Meditationskursen von Sunyata-Meditation (2) wurde Qi Gong den Teilnehmern gelehrt. Ich hatte aber bei der Übung nie wirklich großes Interesse und zu Hause natürlich nicht weiter geübt. Eigentlich wurde Qi Gong im Kurs damals von mir nur aus Routine-Gründen durchgeführt.
Ab diesem Zeitpunkt wurden von mir Qi Gong-Übungen mit Faszien-Verständnis und Schmerzbewusstsein sorgfältiger praktiziert. Von da an begann sich eine Tür bei mir zu öffnen, die zu einem besseren, interessanten Verständnis der „Verbindung zwischen Faszien - Qi Gong - Meditation“ führte.
Beim Praktizieren von Qi Gong könnte man sich auf das Training der äußeren Muskeln (durch die bewusste Anspannung der äußeren Muskeln und das Führen der gedanklichen Aufmerksamkeit zu dieser muskulären Anspannungsstelle) oder auf das myofasziale System konzentrieren, das die Tiefenmuskulatur und Faszien beinhaltet. Natürlich ist eine klare Unterteilung in zwei Systeme hier unmöglich, da der Körper eine Einheit ist, aber wir können gezielt mehr in eine Richtung gehen und der Körper reagiert dann entsprechend.
Wenn wir Qi Gong mit mehr Aufmerksamkeit auf das myofasziale System praktizieren, müssen wir auf Folgendes achten: Im Gegensatz zu den äußeren Muskeln, können wir mit unserem Bewusstsein nicht direkt auf die Faszien und die Tiefenmuskulatur einwirken. Um sie anzuspannen, können wir sie nur indirekt durch Dehnung, am besten in der Entspannung, beeinflussen. Da es sich bei Faszien um ein komplexes Netzwerk im ganzen Körper handelt, können Praktiker außerdem Folgendes erkennen: zum Beispiel bei der Übung gegen Müdigkeit (3) (Bild 1) erkennen wir natürlich die Wirkung direkt am Hinterkopf, aber wir können die Wirkung auch spüren, die sich vom Hinterkopf in Richtung Beine und ganzen Kopf ausbreitet. Mit der richtigen Technik kann sogar eine Ausbreitung der Wirkung auf den ganzen Körper gespürt werden.
Auch kann es sein, dass wenn wir Schmerzen an einer Körperstelle haben, die Ursache der Schmerzen gar nicht dort ist, sondern vielleicht woanders, vielleicht auch im ganzen Körper (wegen falscher Körperhaltung) oder vielleicht auch im Geist? Und jede Qi Gong-Übung oder jede Übung (z. B. Yoga, Tai Chi...) oder irgendeine einfache Bewegung kann über die Faszien den gesamten Körper beeinflussen. Hier verstehen wir, warum Buddha im Sutra „Vier Grundlagen der Achtsamkeit“(4) vom „vollständiges Erleben des ganzen Körpers“ sprach. (Er schult sich: ‚Ich werde beim Einatmen den ganzen Körper spüren.‘ Er schult sich: ‚Ich werde beim Ausatmen den ganzen Körper spüren‘).
Was sind Faszien? Seit dem späten 20. Jahrhundert haben Wissenschaftler die Faszien im Körper, ihre Lage und ihre wichtige Rolle erkannt. Früher galten die Faszien lediglich als überflüssiger Bestandteil neben Knochen und Muskeln, der oft vernachlässigt wurde und keiner Forschung wert war.
Faszien sind Bindegewebsstrukturen, die wie ein Geflecht lückenlos den gesamten Körper durchziehen (Bild 2) und Muskeln, Knochen, Nervenfasern, Blutgefäße sowie Organe... umhüllen, stützen, nähren und schützen. Faszien sind ein großes “Sinnesorgan” und Kommunikationssystem im Körper, das Wasser speichert, Struktur gibt, Transport-Versorgungsfunktion hat, Kraft erzeugt und das sehr wichtig für das Immunsystem ist. Es enthält Zellen, Blutgefäße, Nerven... Diese Nervenenden stehen in engem Zusammenhang mit dem vegetativen Nervensystem (Sympathikus/Parasympathikus) und stellen somit eine ständige Kommunikation zwischen den Muskeln und Organen, dem vegetativen Nervensystem und unserem Gehirn her. Die Faszien und das vegetative Nervensystem können sich gegenseitig beeinflussen. So kann durch Entspannung der Faszien das vegetative Nervensystem reguliert werden, was eine positive Auswirkung auf den gesamten Organismus zur Folge hat. Umgekehrt kann Stress mithilfe von Stresshormonen über den Sympathikus-Weg die Grundspannung unserer Faszien steigern. Dies führt zur Kontraktion der Faszien und kann somit Probleme, bzw. Schmerzen im Körper verursachen.
Mit ca. 250 Millionen sensorischen Nerven stellt das myofasziale System unser reichhaltigstes Sinnesorgan dar (6). Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass Buddha von den sechs Sinnen (Salayatana: Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper und Geist) sprach, bei denen der Körper (Kaya) auch ein sensorisches Tor ist. Und er sprach auch von „Achtsamkeit auf den Körper“ (7). Zen-Meister Thích Thông Triệt erwähnte auch von „Qi Gong-Meditation“ oder „meditativem Qi Gong“. Diese Achtsamkeit, dieses Wissen über den Körper arbeitet dann wie unser eigener Lehrer und hilft uns bei dem Prozess „learning by doing“, Erfahrung zu sammeln, damit wir Qi Gong effektiver praktizieren können.
Faszien besitzen zudem deutlich mehr Schmerzrezeptoren und Bewegungssensoren als Muskeln und Gelenke. Daher liegt die Ursache bei Rückenschmerzen oft nicht in der Wirbelsäule oder in der Muskulatur, sondern diese sind zu 80 bis 85 % unspezifisch, das heißt ohne bildlich darstellbare krankhafte Veränderungen. Man vermutet, dass die Ursache bei den Faszien liegen könnte. Da es sich bei Faszien um ein komplexes netzartiges Geflecht im ganzen Körper handelt, kann es sein, dass die Ursache, zum Beispiel für Knieschmerzen nicht nur am Knie, sondern an einer anderen Stelle oder sogar an verschiedenen Stellen liegt. Deshalb verschwindet der Schmerz manchmal nicht vollständig, wenn wir uns nur auf die Knie-Übung konzentrieren. Ein anderer und sehr wichtiger Aspekt bei der Schmerzlinderung ist die Entspannung, weswegen wir beim Praktizieren von Qi Gong, oder besser gesagt, von meditativem Qi Gong lernen sollten, uns auf der Ebene der Faszien und auch des Geistes zu entspannen und loszulassen. Die innere Gelassenheit senkt die Grundspannung unserer Faszien, andererseits löst die Entspannung der Faszien die Verspannungen und hat über das vegetative Nervensystem positive Wirkungen auf unser Wohlbefinden.
Um die wichtige Rolle, die Struktur und Funktion der Faszien besser zu verstehen, kann das folgende sehr interessante Dokument angesehen werden:
https://fasciaguide.com/fascia-guide/the-mysterious-world-under-the-skin/ auf Englisch.
https://www.youtube.com/watch?v=2lKDcNvQ9FQ
Les alliés cachés de notre organisme Les fascias ARTE: auf Französisch.
https://www.arte.tv/de/videos/070788-000-A/faszien-geheimnisvolle-welt-unter-der-haut/ oder https://www.youtube.com/watch?v=b9pPjyCUUmk&t=46s: auf Deutsch.
Minh Tuyền, 14.1.2025
Korrektur von Katrin
(1) https://en.m.wikipedia.org/wiki/File:13th_century_anatomical_illustration_-_sharp.jpg
(2) Veranstaltung von Sunyata-Meditation Stuttgart in https://www.sunyata-bw.de/veranstaltungen zu lesen
(3) Khí Công Căn Bản – Phần Thực Hành, Hòa Thượng Thích Thông Triệt, 2020 https://www.tanhkhong.org/a1081/khi-cong-can-ban-phan-thuc-hanh
(4) Majjhima Nikāya/ Satipaṭṭhāna Sutta (https://suttacentral.net/mn10/de/mettiko?lang=vi&reference=none&highlight=false)
(5) https://www.mountainsbounty.com/post/fascia-that-connects-us-all-and-all-of-us-are-connected
(6) Faszien als sensorisches und emotionales Organ: Faszien als Sinnesorgan: Robert Schleip-Katja Bartsch, 2023 (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1615907123000096)
(7) Majjhima Nikāya 119/ Kāyagatāsatisutta: Achtsamkeit auf den Körper (https://suttacentral.net/mn119/de/sabbamitta?lang=vi&layout=sidebyside&reference=none¬es=asterisk&highlight=false&script=latin)